Viele Jahre lang war Schwarzweissfotografie der Standard. In den 1930er Jahren begannen Fotografen, sich zaghaft mit der Farbfotografie zu beschäftigen. Erst in den 1960er Jahren wurde jedoch die Welt der Fotografie zu einer Farbexplosion. Seitdem ist die Wahl für die Schwarzweissfotografie gegenüber der Farbfotografie eine sehr bewusste Entscheidung.
Warum sollte man sich im Jahr 2022 bewusst für Schwarzweissfilm entscheiden, wenn Farbe doch so viel realistischer, interessanter und aktueller ist?
01 | Eine andere Art von Welt
Um es gleich vorwegzunehmen: Wir leben in einer farbigen Welt. Daran sind wir gewöhnt. Die Wahl von Schwarzweiss kann deshalb ein faszinierender Schritt ins Surreale sein. Schwarzweiss bietet die Möglichkeit, alltägliche, oft langweilige Motive in Dinge von absoluter Schönheit zu verwandeln.
02 | Keine Farbablenkung
Die Farbe ist oftmals das auffälligste und aufmerksamkeitsstärkste Merkmal von Bildern. Wenn man die Farbe entfernt, muss sich der Fokus auf andere Elemente verlagern. Fotografen und Betrachter sind daher gezwungen, über Ton, Textur und Licht auf neue Art und Weise nachzudenken. Die Tiefe des Bildes erhält durch die Schwarzweissfotografie ebenfalls eine andere Bedeutung. Sie entsteht durch Lichtkontraste, nicht durch Farben, und ermöglicht es uns, das Handwerk in der Textur und Leuchtkraft des Bildes noch mehr zu schätzen.
Beider Schwarzweissfotografie konzentriert man sich viel mehr auf die Elemente im Bild, sowohl in Bezug auf ihrer Form und Gestalt als auch darauf, wie sie sich zueinander verhalten. Schwarzweiss vereinfacht es, diese Elemente zu sehen und mit ihnen zu spielen.
03 | Zeitlose und klassische Quali
Einer der häufigsten Gründe, warum man heute in Schwarzweiss fotografieren möchte, ist, dass die Bilder dadurch eine gewisse zeitlose Qualität erhalten. Das liegt daran, dass wir Schwarzweiss immer noch als einen Rückgriff auf die fotografische Vergangenheit betrachten.
04 | Verfügbarkeit und chemische Stabilität
Mit den richtigen Werkzeugen und Kenntnissen kann man Schwarzweissfilm einfach auch zu Hause entwickeln - was man von Farbfilmen nicht behaupten kann. Dieser vereinfachte Herstellungsprozess ermöglicht es auch mehr Unternehmen, mit weniger Mitteln eine grössere Produktvielfalt zu schaffen. Ilford ist ein Beispiel für eine bekannte Marke, die weltweit mit grossem Erfolg ein weites Angebot an reinen Schwarzweissprodukten vertreibt.
Es gibt eine grosse Auswahl an frisch hergestellten Schwarzweissfilmen. Es gibt aber auch viele gut erhaltenen Filmen, die man immer noch mit relativem Vertrauen fotografieren kann. Farbfilme neigen mit zunehmendem Alter zu Farbverschiebungen und Verblassen. Ein grosser Bestand an abgelaufenem Schwarzweiss-Filmmaterial kann daher auch heute noch verwendbar sein.
05 | Leichteres Scannen von Negativen
Die Umkehrung von Schwarzweiss-Negativen ist ein relativ einfaches Verfahren: Umkehrung und Anpassung des Schwarzpunkts. Das ist bei Farbfilm nicht der Fall. Dafür muss zum Beispiel der Blaustich entfernt werden, der durch die orangefarbene Maske entsteht. Ausserdem hängt die endgültige Bildinterpretation bei Schwarzweissfilm vom Kontrast ab, während bei Farbfilm unendlich viele Optionen für Farbbalance und Sättigung zur Verfügung stehen.
Praktisch alle digital aufgenommenen Schwarzweissbilder sind heutzutage Farbfotografien, die in Schwarzweiss umgewandelt werden - selbst, wenn dies in der Kamera geschieht. Auch Farbfilme können gedruckt oder digital in Schwarzweiss umgewandelt werden. Viele Filmfotografen entscheiden sich jedoch für rein monochrome Emulsionen ohne die Möglichkeit, auf Farbe umzuschalten. Wir fotografieren anders, wenn wir bewusst Schwarzweissfilm wählen. Die meisten Fotografen stellen sich die Frage, wann ein Foto in Schwarzweiss konvertiert werden sollte. Selten geht es darum, warum ein Foto vonAnfang an schwarzweiss sein sollte.
Das Wann und das Warum hängen zwar zusammen, aber in Farbe zu fotografieren und sich dann zu fragen, ob das Bild konvertiert werden soll, erfordert eine ganz andere Denkweise als die, die Welt in Schwarzweiss zu sehen und dann innerhalb dieser Grenzen zu arbeiten.